Nun kam der Krieg! Lebensmittel wurden knapp. Wieder war es Onkel Wolf, der uns half. Wie oft durfte ich ihn nicht in der M6 im Rathaus aufsuchen und kehrte mit Kondenzmilch, Sardinen und anderen Sachen wieder heim.
Einmal half er mir aus einer besonderen Patsche: Reinhold und ich hatten, mit einem kleinen Leiterwagerl versehen, auf der Landstrasse von den Alleebäumen eine Unmenge Äpfel "geerntet" und nach Stallegg gebracht. Kathi, die Haushälterin unserer Tante Paula, war uns nicht gewogen-ich hatte einmal Haare beim Fenster hinausgeworfen und Reinhold hatte ein Kind verprügelt, das sie gerne mochte - also ergriff sie die Gelegenheit und zeigte uns wegen Diebstahl an. Und was tat der gute Onkel Wolf? Er schrieb einen Brief an die Bezirkshauptmannschaft von Horn- und die Sache war erledigt.
Während des Krieges starb mein lieber Vater, und Tante Valerie und Onkel Wolf umsorgten meine Mama vorbildlich.
Dann machte ich Matura und Onkel Wolf schickte sofort ein Telegramm an Mama, die bereits im Kamptal war. Er diktierte mir ein sehr höfliches Gesuch um eine Anstellung - es war ja noch Monarchie - und seiner Protektion gelang es tatsächlich, daß ich von der Gemeinde Wien (damals unterstanden die Lehrer noch nicht dem Bund) angenommen wurde! Auch das war ein Wunder! Von den damaligen Maturantinnen der LBA erhielt auf Jahre hinaus nur mehr die Hälfte eine Anstellung! Was das für mich bedeutet hat, und wie dankbar ich Onkel Wolf dafür bin, läßt sich mit Worten nicht schildern! Ich liebte meinen Beruf, den ich 40 Jahre ausüben durfte, und der mir für mein ganzes Leben Selbstständigkeit und Unabhängigkeit bot. Lieber, guter, unvergeßlicher Onkel Wolf!
Unsere Sommerferien verbrachten wir wie immer im Kamptal. Onkel Wolf bewohnte das Dichterstübchen in der Villa Waas in Kamegg.
Jeden Nachmittag unternahm der Dichterfürst mit seinen beiden Frauen einen weiten Spaziergang, nicht ohne ihnen bei einer Rast aus seinen jüngsten Werken vorzulesen. Die gute Tante Valerie hingegen labte alle mit vielen Köstlichkeiten.
Eines Tages kam Onkel Wolf zufällig dazu, wie Vally und ich im Kreise einiger Jünglinge Zigaretten rauchten. Er war von diesem Anblick so entsetzt, daß ich schon am folgenden Tag diese Gedicht erhielt.
Das ist der hochmoderne Fratz,
Am Hirnchen hohl und Herzchen,
Der saugt, wo sonst für Honig Platz,
Des Toback dünnes Kerzchen.
Das eine Gänschen tut´s und glaubt,
Höchst geistreich sei das Schmauchen,
Das zweite hält es für erlaubt,
Weils andre Gänse rauchen.
Ein so mit Qualm begrenzter Kopf
Anstatt mit keuschen Myrten,
Gleich einem wüsten Hexenschopf,
Den Teufel balsamierten.
O Lilienduft und Rosenhauch,
Wovon die Sänger sangen,
Wie seid Ihr, ach, zu eitlem Rauch
Und zu Gestank zergangen!
O veilchensüßes Mündchen zart,
Ich muß an Dir verzagen,
Ich küsse einen Knasterbart (Bedeutung veraltet, salopp alter mürrischer Mann)
Mit gleichem Wohlbehagen!
Ihr schwärmt von mancher holden Maid
Im Reich der Rampenlichter,
Wie sie im hellen Unschuldskleid,
Euch schauen ließ der Dichter.
Wie hübsch, wenn sich im Garten fand
Zu Faust das fromme Gretchen
Und mit ihm flötet, in der Hand
Ein feines Zigarettchen!
Und wenn das Gretchen von Hellbronn,
Der tugendhafte Engel,
Beim Grafen Strahl sucht Liebeslohn,
Im Mund den glüh´nden Stengel!
Ihr schwärmt besse nicht so viel
Für kunstverklärte Damen
Und strebtet nach dem schön´ren Ziel,
Ihr Vorbild nachzuahmen!
Damit nicht allzu schmerzlich rauh
Uns die Erkenntnis quäle:
Wie fern dem Ideal der Frau
Noch flattert Eure Seele!
Kamegg, 28.8.1920
Es geschah mir etwas Seltsames: Dieses Gedicht beeindruckte mich so, daß ich von Stund an nicht mehr rauchte. Das fiel mir aber überhaupt nicht schwer, denn so gern ich als Kind, als Indianer-Squaw, unsere Rakis (Stengel der Waldrebe) geraucht hatte, so wenig Freude fand ich an einer Zigarette!
Ich rauchte ja nur, weil es die anderen taten. Also hörte ich gerne damit auf. Ich sage wieder einmal: "Danke, lieber Onkel Wolf!" (Und welchen Nutzen zog ich doch während des Zweiten Weltkrieges aus meinen ersparten Raucherkarten!!!)
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